Rapid but not hasty, please! Warum Lernprogramme nicht auf Kopfdruck entstehen

26. Juni 2020 - Alle Kategorien, Content, Tool-Auswahl

Autor: Chris Hollweg

Es sind schon seltsame Zeiten. Viele Menschen haben mehr Freiraum zum Lernen, gleichzeitig kann aber kein Präsenztraining stattfinden. Die vielen PowerPoint-Präsentationen der unterbeschäftigten Trainer liefen Gefahr Schimmel anzusetzen, wären sie nicht digital. Da klingt es doch verlockend, dass es Software geben soll, mit der man mit minimalem Aufwand ansprechende Lernprogramme erzeugen kann. Es gibt sie tatsächlich. Programme dieser Art sind gerade so gefragt wie nie zuvor – so genannte „Rapid Authoring Tools“.

Rapid Authoring Tools

Das mit den wenigen Handgriffen stimmt durchaus. Es gibt dafür unterschiedlicher Rapid-Authoring-Ansätze. Einige Tools machen aus vorhandenen PowerPoint-Präsentationen – per Knopfdruck – HTML-Seiten plus SCORM-Paket oder andere technische Formate, die man üblicherweise für Lernprogramme nutzt. In der Regel bieten sie noch Zusatzfunktionen zum Erstellen von Übungssaufgaben, Tests oder Bildschirmaufzeichnungen an. Sehr beliebt sind auch Aufzeichnungen von Präsentation mit Einblendungen der Präsentatoren in kleinen Zusatzfenstern. In anderen Tools kann man zwischen verschiedenen Seitenvorlagen auswählen und sie mit Inhalten füllen. Auch bei diesen Programmen lassen sich Übungsaufgaben und Ähnliches hinzufügen. Das Ergebnis, das man per Knopfdruck erhält, ist optisch ansprechend, aber der Aufwand ist natürlich etwas größer als beim „Umwandeln“ einer vorhandenen PowerPoint-Präsentation. Und dann gibt es noch Tools, die auf Screen Recording, d.h. auf die Aufnahme dessen, das was auf dem Bildschirm gerade passiert, spezialisiert sind. Wenn man geübt ist, kann das schon sehr „rapid“ sein. Anfänger müssen aber sehr oft pausieren und neu ansetzen. Gar nicht rapid dagegen ist dann die Nachbearbeitung mit eingeblendeten Informationen, Neuvertonung und anderen Dingen.

Was fehlt?

„Unser Herr Müller hat doch neulich ein tolles Training zum Thema Datensicherheit gemacht. Wir sollten seine PowerPoint-Folien mit unsrem Rapdid-Authoring-Tool als Lernprogramm zur Verfügung stellen.“  

Findest du den Fehler? Viele finden ihn nicht und machen so etwas. Ich denke, das Training von Herrn Müller kann nicht so überragend gewesen sein, wenn man auf ihn und seine Erläuterungen verzichten könnte. Oder die Folien selbsterklärend und man hat bisher Zeit und Geld mit Präsenzveranstaltungen vergeudet.

Herr Müller hat vermutlich vor seiner Veranstaltung einige Überlegungen angestellt, die einem ein Rapid-Authoring-Tool nicht abnehmen kann.  Wer sich für „quick and dirty“ entscheidet, bekommt leider nicht nur „quick“. Ob ein Lernprogramm gut ist, wird nicht durch die Anzahl seiner Interaktionen, der Lernzielkontrollen oder das Design bestimmt. Vielmehr finden ganz ähnliche Überlegungen wie bei der Planung einer Präsenzveranstaltung statt. Nur kann man bei der Nutzung eines Lernprogramms als Trainer nicht spontan gegensteuern, wenn sich der erhoffte Lernerfolg nicht einstellt. Man merkt es zunächst nicht einmal. Umso sorgfältiger sollte man planen. 

Die Planung fängt lange vor der Entscheidung für die Methode an

Stell dir folgende Situation vor: Du bist Handwerker und wirst zu einem Kunden gerufen. Obwohl der Kunde dir nicht sagt worum es geht, beschließt du, das Problem mit einem 15er Maulschlüssel zu beheben. Wie sinnvoll klingt das? Bei der Planung zur Deckung von Bildungsbedarfen findet man dieses Vorgehen häufiger als man glauben mag. Natürlich gibt es Gründe, die von vorneherein Präsenztraining ausschließen. Aber es gibt ja noch zahlreiche andere Methoden. Ob ein Lernprogramm die richtige Wahl ist, sollte am Ende eines fundierten Prozesses entschieden werden.

So triffst du die richtige Entscheidung

Auf keinen Fall solltest du überlegen, was alles zum Thema gehört und wie man es am besten vermittelt. Überlege stattdessen, welches Problem gelöst werden soll. Du solltest auch besser nicht daran denken, eine Bildungsmaßnahme "für alle Mitarbeiter" zu machen. Auch hier trifft der aus dem Marketing stammende Spruch "Wer alle ansprechen will, spricht unter Umständen niemanden an" zu.

Es gibt eine Reihe von Methoden, so ein Projekt anzugehen. Hilfreich ist zum Beispiel die Action-Mapping-Methode von Cathy Moore. Methodenentscheidungen trifft man hier erst beim vierten Punkt:

1. Was ist das Problem? Was soll anders sein als vorher?

Jedes Projekt beginnt mit diesen Fragen:

  • Welches Problem soll gelöst werden?
  • Welches messbare Ziel wollen wir erreichen?
  • Was soll anders sein als vorher?

2. Was müssen die Mitarbeiter dazu tun? Warum tun sie es nicht?

Es geht dabei nicht um Wissen, sondern um Handlungen. Es gilt zu analysieren, welche Gruppen was tun müssen, um das größere Ziel zu erreichen und warum sie es nicht tun.

Mögliche Gründe:

  • fehlendes Wissen oder Fertigkeiten
  • fehlende Motivation
  • fehlendes Problembewusstsein
  • Rahmenbedingungen, die die Handlung erschweren oder verhindern


Man versucht zunächst herauszufinden, ob eine Trainingsmaßnahme wirklich die richtige Lösung ist, d.h. ob die Annahme richtig ist, dass ein Bildungsbedarf besteht.

3. Wie können die Mitarbeiter das, was sie tun müssen, üben?

Es geht hier um die Konzeption von Übungen, die der realen Arbeitssituation möglichst ähnlich sind.

Beispiel:

Kunden auf Englisch am Telefon Auskunft zu geben übt man am besten, indem man einem fingierten Kunden auf Englisch Auskunft gibt.

4. Was müssen die Mitarbeiter dazu wissen oder können?

Bei diesem Schritt wird geklärt, was man dazu wissen, können und welche Einstellung man dazu mitbringen muss. Nur das wird Gegenstand der Trainingsmaßnahmen. Davon lassen sich Ziele und Teilziele ableiten. Und nicht vergessen: Diese Ziele müssen messbar sein, sonst kannst du nur vermuten, ob sie erreicht worden sind.

Beispiel:

Um Kunden auf Englisch Auskunft zu geben, muss man

  • flüssig Englisch sprechen und ein gutes Hörverständnis haben
  • Business-Englisch und das branchenrelevante Fachvokabular beherrschen
  • Gesprächstechniken anwenden können


In diesem Beispiel würden sich das Hörverständnis, das Beherrschen des Fachvokabulars und der theoretische Unterbau der Gesprächstechniken bestens mit Lernprogrammen vermitteln lassen.

 

Schritte zum guten Lernprogramm

Wenn du die o.g. Punkte bearbeitet hast, dann kennst  du den Lernbedarf und die besten Wege ihn zu decken. Ein wohl überlegtes Blended-Learning-Konzept sorgt dafür, dass die Lernziele mit passenden Methoden angestrebt werden. Teile davon eignen sich in der Regel für die Vermittlung über Lernprogramme. Deren wahrgenommene Qualität wird im Wesentlichen durch das Maß bestimmt, mit denen sie den Lernbedarf decken, den sie decken sollen. Vermittelt man mit einem WBT nur das, wofür sich diese Methode auch wirklich eignet, dann ist man schon einen großen Schritt hin zu einem guten Lernprogramm gegangen. Die Aufschlüsselung nach Teilzielen und das Befreien von allem, was nicht zur Zielerreichung beiträgt, bringen dich ebenfalls weiter zum Ziel.

Rapid-Authoring-Tools ermöglichen es jedermann, die jetzt noch fehlenden Schritte zu tun, ohne sich mit technischen Details zu befassen oder zum professionellen Lernprogramm-Designer werden zu müssen. Was dann noch nötig ist, sind ein gewisses Geschick, Sachverhalte zu erklären, eine verständliche Sprache und Visualisierungstechniken – das Handwerkszeug der Trainer/innen.

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